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Zehn Prinzipien für nachhaltiges Design


Für die neueste Ausgabe des factory-Magazins für nachhaltiges Wirtschaften habe ich zehn Prinzipien für nachhaltiges Design formuliert. Denn nur Design, das ökologische, soziale und ökonomische Aspekte indikatorenbasiert berücksichtigt, ist zukunftsfähiges Design. Diese zehn Prinzipien für ein nachhaltigeres Design sind natürlich nicht als Zehn Gebote mit Absolutheitsanspruch gedacht – es braucht kein goldenes Kalb, um an solch einem Anspruch nur scheitern zu können –, sondern als eine Ermunterung zu Diskurs und Reflexion.

1.

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Nachhaltiges Design lässt sich rechtfertigen

Weil jedes Design Ressourcenaufwand und Umweltbelastung bedeutet, muss sich Nachhaltiges Design permanent selbst infrage stellen lassen. Hauptsächlich dekoratives oder redundantes Design ist nicht nachhaltig. Der Bedarf für Design muss sich rational argumentieren lassen und setzt Nachhaltigkeitsindikatoren und plausible Schlussfolgerungen an die Stelle vager Behauptungen. Am Anfang nachhaltiger Entwurfsprozesse steht die Frage nach Gestaltungsrelevanz und -bedarf. „Cui bono?“ ist in diesem Fall ausnahmsweise keine Chiffre für Verschwörungsgläubige, sondern der Ausgangspunkt kritischer Reflexion über die Sinnhaftigkeit eines neuen Designentwurfes.

2.

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Nachhaltiges Design ist ressourcenleicht

Mit der Öffnung des Designbegriffes ergeben sich neue Möglichkeiten: Muss es überhaupt ein neues Produktdesign sein, oder wäre beispielsweise eine Dienstleistung oder eine Kommunikationsmaßnahme viel besser geeignet, um einen identifizierten Bedarf zu decken? Das Ziel ist die Ressourcenleichtigkeit. Wo immer möglich, dematerialisiert das Nachhaltige Design Entwürfe. Es berücksichtigt dabei, dass Stellschrauben für Ressourcenleichtigkeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu finden sind.

3.

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Nachhaltiges Design ist kreislauffähig

Nachhaltiges Design hat stets die Kreislauffähigkeit von Produkten und Services im Sinn. Wiederverwertung, Recycling und Rückführung von Ressourcen in biologische Kreisläufe werden von Grund auf mitgedacht. Das betrifft Aspekte wie Materialauswahl, Reparierbarkeit und Modifizierbarkeit, nimmt aber jenseits der Produktgestaltung auch kreiswirtschaftliche Geschäftsmodelle in den Blick. So sorgen beispielsweise Miet-, Leasing- und Sharingmodelle für längere Nutzungsdauer und effizientere Produktlebenszyklen. Dabei kommt wiederum dem Kommunikationsdesign eine wichtige Rolle als Vermittler solcher nachhaltigen Praxen zu.

4.

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Nachhaltiges Design ist wirkungsorientiert

Nachhaltiges Design denkt vom Ende her: Welchen konkreten Impact soll ein Gestaltungsentwurf erzielen? Nachhaltiges Design verharrt nicht im Appell und schon gar nicht in moralistischen Gesten, sondern ist outcome-orientiert. Die Wirkung kann dabei pragmatisch sein (zum Beispiel in Form einer spezifischen Problemlösung), aber auch diskursgerichtet (zum Beispiel durch Generierung von Aufmerksamkeit auf eine Problematik).

5.

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Nachhaltiges Design ist transparent

Nachhaltiges Design ist das Gegenteil von Greenwashing. Es ist sowohl in seinen Absichten als auch in seinen Mitteln transparent. Form und Inhalt des Designs müssen kongruent sein. Zum Beispiel sieht eine Bambus-Zahnbürste nachhaltig aus, ist es aber in der Regel nicht. Und eine Verpackung, die in rustikaler Naturpapier-Optik daherkommt, kommuniziert Eigenschaften, die durch eine unnachhaltige Beschichtung womöglich direkt wieder zunichte gemacht werden. Das ist kontraproduktiv, denn: Glaubwürdigkeit ist das höchste Gut jeglicher Nachhaltigkeitskommunikation.

6.

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Nachhaltiges Design ist komplexitätsgerecht

Ambiguitäten, Folgenabschätzungen, Wechselwirkungen, Zielkonflikte: Nachhaltigkeit ist ein durch und durch komplexes Phänomen. Design hat als Vermittlungskompetenz daher einen Balanceakt zu vollführen, indem Nachhaltigkeitsaspekte weder unzulässig simplifizierend noch überladen oder kompliziert daherkommen dürfen. Komplexitätsgerechtes Design ermöglicht Handlungskompetenz. Das trifft für nachhaltiges Kommunikationsdesign zu, aber auch für Produkte und Services gilt: Zwischen kompliziert und komplex liegt Design.

7.

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Nachhaltiges Design macht Lust auf Transformation

Zahlreiche Studien und Analysen zeigen: Moralische Appelle und Verzichtsaufrufe zerschellen regelmäßig am sogenannten Intention-Behaviour-Gap. Zwischen dem Wissen und Wollen im Hinblick auf Nachhaltigkeit und dem tatsächlichen Verhalten klafft eine große Lücke. Diesen Graben muss Nachhaltiges Design überwinden, indem es durch innovative Ansätze und originelle Konzepte Attraktivität und Zugänglichkeit schafft. Die Transformation in Richtung Nachhaltigkeit gelingt nicht auf der Basis von Zukunftsangst und schlechtem Gewissen, sondern nur mit Ermutigung und Zuversicht. Wenn dies gelingt, ist Nachhaltiges Design nicht nur ein Vermittler gesellschaftlicher oder technischer Entwicklungen, sondern auch deren Motor.

8.

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Nachhaltiges Design baut zielgruppengerechte Brücken

Nachhaltiges Design schafft Brücken in konkrete Lebenswelten. Dafür braucht es ein Bewusstsein für deren Unterschiedlichkeit. Je nach sozioökonomischem Milieu kann Nachhaltigkeit mit gesellschaftlicher Notwendigkeit, besserwisserischer Bevormundung, Spaßbremsen-Attitüde oder identitätsstiftender Selbstverständlichkeit konnotiert sein. Sowohl in der Bedarfsanalyse als auch in der Umsetzung (Stichworte: Nutzerfreundlichkeit, Barrierefreiheit) muss Nachhaltiges Design zielgruppenorientiert sein und spezifische Bedürfnisse berücksichtigen.

9.

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Nachhaltiges Design berücksichtigt alle Stakeholder

Damit Design nachhaltig ist, müssen nicht nur die direkten Zielgruppen eines Entwurfs berücksichtigt werden, sondern sämtliche Stakeholder. Das bedeutet, in der Konzeption und Umsetzung alle zu bedenken, die direkt oder indirekt vom Entwurfsprozess und dessen Auswirkungen betroffen sind. Das ist je nach Komplexität eines Projektes eine umfassende Angelegenheit. Die Aspekte reichen von Arbeitsbedingungen und Menschenrechtsfragen entlang der gesamten Wertschöpfungskette über den sensiblen Umgang mit kulturellen Kontexten bis hin zur Vermeidung kollateraler schädlicher Auswirkungen für vermeintlich Unbeteiligte.

10.

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Nachhaltiges Design ist provisorisch

Nachhaltigkeit ist kein Zustand, sondern stetiger Prozess. Daher ist Nachhaltiges Design gleich in zweifacher Hinsicht provisorisch: Es ist im Wortsinne vorausschauend und antizipierend, aber zugleich ist es sich auch stets der Vorläufigkeit seiner Entwürfe bewusst. Anstelle von Blaupausen, strikten Vorgehensweisen oder dem ultimativ nachhaltigen Designentwurf zeichnet sich Nachhaltiges Design durch eine ausgeprägte Best-Practice-Orientierung und einen explorativen Charakter aus. Dieses Bewusstsein für inhärente Imperfektion beginnt übrigens schon bei der Bezeichnung selbst: Vielleicht gibt es irgendwann einen treffenderen Begriff für das, was heute als Nachhaltiges Design bezeichnet wird und Zukunftsfähigkeit zum Ziel hat.